Der Besuch

Dunkel ist es über dem Meer, fast schwarz. Nur drüben am anderen Ende der Bucht beim „Diving Center“ brennen einige Lampen. Ihr Schein wirft zitternde Lichtschlangen auf die kurzen, aufgeregten Wellen der Bucht. Hier in El Quseir, das die Ägypter hier El Usir aussprechen wird´s um diese Jahreszeit, Anfang November schon um sieben Uhr abends dunkel. Wir haben unser Dinner-Büfett schon hinter uns, haben uns tapfer durch all die Köstlichkeiten durchgekämpft; zuhause essen wir abends nicht mal halb so viel. Wir haben auch unseren Tee getrunken, wie immer abends und sind aufs Zimmer gegangen, spielen heute aber kein Tridom sondern sitzen auf unserer Terrasse als wir sie kommen sehen. Fast hätte ich unseren wertvollen Fernet Branca verschüttet – mit irgend etwas muss man doch dem reichlichen Essen Paroli bieten – als der Lichtschein da oben immer heller wird. Natürlich sehen wir fast jeden Abend wenn wir hier auf der Terrasse sitzen, irgendwelche Sternschnuppen, weit weg, ganz dünne, schwache Linien, Weltraumschrott der verglüht. Aber das war was ganz anderes. Von rechts oben weiß leuchtend nach links unten, immer grünlicher werdend, dann gelb mit rotem Kopf und immer langsamer. Gleich wird die Sternschnuppe verglühen! Sie wird immer röter und blauviolett. Gleich! Gleich! Aber sie verglüht nicht. Sie scheint schon minutenlang immer näher zu kommen, jedenfalls kommts mir so vor. Und sie kommt immer näher, wird größer und blasser, leuchtet nur noch schwach. Und wir sehen unten am Strand irgendwas ins Wasser platschen, und ein Zischen und rosa Dampf, durchsichtig, verweht im Wind.
Unser Bungalow steht auf einem Korallenfelsen cirka dreißig Meter über der Strandbucht, malerisch aus gelb und rot gestreiften Steinquadern gebaut und zwei Kuppeln hat er auch. In einer ist oben die Lüftung fürs Bad und in der im Schlafzimmer ist oben in der Mitte ein blaugrünes Glas das schon beim Erwachen signalisiert: „Heute ist ein schöner Tag!“ Die Terrasse ist eigentlich ein Balkon, so steil steht sie über den Felsen. Da sitzen wir also und sehen jetzt diese seltsame Glaskugel im Wasser treiben. Sie ist in der Dämmerung gut zu erkennen, scheint von Innen schwach beleuchtet. Sie dümpelt in der schwachen Brandung direkt vor dem Strand. Gerade so la la können wir das im schwachen Licht der Strandschirmlämpchen erkennen. Irgend etwas tut sich jetzt an der Kugel, etwas öffnet sich, Gestalten kommen heraus und eine tritt ins Wasser und wir hören deutlich so eine Art Schnatterquietschen. Na, so kalt ist das Wasser doch auch nicht, 26°C stand heute auf der Tafel am Strand. Klein und schmal sind die Wesen, dürr geradezu und verglichen mit den Strandliegen in ihrer Nähe haben sie nur Kindergröße, aber viel größere und breitere Köpfe und irgendwelche Drahtrollen an der Seite als Ohren und auf dem Kopf drei Antennenstummel oder Fühler oder so. Sie sehen so aus wie Klein-Fritzchen sich Marsmännchen vorstellt. Kleider und Farben können wir von hier oben kaum erkennen, höchstens dunkelgrün vielleicht. Jetzt stehen zwei im Wasser, schnatterquietschen und gestikulieren zur Kugel hin. Die beginnt irgendwie zu kreisen, irgendein Bügel dreht sich, kreiselt immer schneller und die Kugel hebt sich etwas, macht einen kleinen Hopser und steht ruhig am Strand zwischen zwei Strandschirmen. Der Bügel kommt zur Ruhe. Das innere Licht ändert sich zu schwachem Grün. Rasch, wo ist der Foto? Wir haben eine dieser kleinen , japanischen Videokameras, handlich und mit Chipkarte für digitale Bilder und Videos. Ich beginne mit einem kurzen Videoschwenk über die stelle am Strand, da sagt unser technisches Wunderwerk: „Low battery-power!“ Das heißt wir hätten die Batterie mal wieder laden sollen. Aber ein Foto wird’s wohl noch geben. Denkste! „Low battery-power!” Für mehr reicht es nicht. Ich zische wütend: „Net schwätze! – Schaffe!“ Aber unser kleiner Japaner versteht kein Schwäbisch. Inzwischen haben die kleinen, grünen Männchen eine Art Zollstock ausgeladen und beginnen ihn aufzuklappen zu einer langen Stange, so hoch wie die Strandschirme in der Nähe. Dann befestigen sie etwas daran, oben an der Spitze. Es sieht aus wie ein durchsichtiges Dreieckstuch. Schwache bunte Linien und Lämpchen blinken darauf. Noch ein Dritter kommt heraus, wahrscheinlich der Pilot. Sie nehmen Aufstellung, nicken kurz in Richtung der Strandschirme und singen völlig perfekt und a capella „Mein kleiner, grüner Kaktus“ mit allen Strophen. Klar und hoch sind ihre Stimmen und schallen über den leeren Strand. Niemand klatscht und auch wir sind zu perplex. Das haben sie bestimmt auf dem Herflug aus dem Radio und wollen die Erde damit begrüßen. Fast hätten wir laut aufgelacht. Ist das die unendliche Weisheit aus den unendlichen Weiten?
Also irgendwie muss man doch reagieren wenn Besuch aus dem Weltall da ist. Es ist 22:15 Uhr und in der Rezeption die Notbesatzung die meiner Schilderung der Ereignisse nicht folgen kann. Eigentlich ist mein Englisch ganz passabel; aber der Rezeptionist verstand nur „Bahnhof“. Jedenfalls sagte er am Schluss nur immer: „Yes, tomorrow. I will inform the chief-manager!” N, ja. So nachträglich besehen kann ich ihn verstehen. Oder was hätten Sie an seiner Stelle gedacht wenn ein Gast mitten in der Nacht was von kleinen, grünen Männchen erzählt die eben gerade am Hotelstrand mit einem Raumschiff gelandet seien. Eben! Das dachte er auch. Aber ich hatte ja noch das Handy, das wir uns für Notfälle mitgenommen haben. Also wenn das kein Notfall ist! Aber wen soll man informieren, hier von Ägypten aus? Die UNO oder unsere Regierung oder den Papst oder wen? Na, da fiel uns Kornelias Bruder Werner ein. Er ist Journalist in Hamburg und weiß bestimmt Rat und freut sich über so eine Story. Also versuchen wir ihn anzurufen. Unser Kartentelefon schaltet sich tatsächlich ein, keine Batterieprobleme! Und findet auch automatisch ein Netz. „telenil“ steht da und begrüßt uns mit einer SMS in englisch. Wie schön! Auch der Anruf nach Hamburg klappt einwandfrei. Ganz so sehr freute sich Werner dann doch nicht. Er hatte heute keine Nachtredaktion, wollte mal endlich wieder früh ins Bett und war gerade am Einschlafen. Aber was soll er machen, wenn die „kleine“ Schwester anruft? Er hört geduldig zu, klingt zunächst so ähnlich wie hier der Rezeptionist, lacht bei den „Kleinen, grünen Männchen“. Er fragt, wie es uns… Ja , doch, alles ist in Ordnung bei uns, ja schön hier in Ägypten und warm, 30° und ideal zum Tauchen. Aber hör doch mal.. hier am Strand.. und so.. Er glaubt uns schließlich so irgendwie, aber weiß auch nicht so recht, will auch nicht selbst beim „Hamburger Abendblatt“ anrufen. Schließlich hat er einen guten Namen als seriöser Journalist zu verlieren. Er gibt uns aber die Nummer der Nachtredaktion. Da könnte wir ja selbst… Also gesagt, getan. Schläfrig meldet sich die Nachtredaktion, „Kovatsch“ oder so und wir erzählen was hier gerade doch wirklich Wichtiges geschieht. Er schnauft kurz auf, scheint plötzlich hellwach und interessiert zu sein; aber nach den „kleinen, grünen Männchen“ merken wir dass das Interesse plötzlich wieder erlicht. Pause!… Pause!… „ und was soll ich da machen? Na, Sie sind Journalist.. die Sensation.. die Weltnachricht. Plötzlich ist die Verbindung weg! „Hallo! Hallo!“, nichts geschah. Ob er aufgelegt hat oder nicht, haben wir nie erfahren, denn unsere „Prepaid”-Karte wollte nicht mehr, war einfach so leer. Es scheint teuer zu sein von Ägypten nach Hamburg anzurufen denn 20 € müssten eigentlich noch drauf gewesen sein auf der Karte. – Also können wir die Welt nicht informieren, schade! Inzwischen steht einer der Besucher am Strand und hält die Stange mit der Dreiecksflagge und ein anderer richtet eine Art Trompete auf ihn und wieder hören wir das rhythmische Schnatterquietschen. Ein senkrechter, grüner Lichtstreifen kommt aus der „Trompete“. Wie ein Laserscanner sieht der aus. Langsam wandert der Strahl über den Strand, die Schirme und Palmen und zuletzt auch über die Bungalows bis hoch zu uns. Es blitzt in meinen Augen und ich ducke mich schnell hinter die Steinmauer. Und das war gut so. Dort auf der Liege auf der ich gerade noch war erschien blitzschnell ein rosa Lichtkegel und auf unserem blauweißen Strandtuch dampfte ein kopfgroßer Kreis. Na so was! Wurden wir gerade beschossen? Glücklicherweise war Ko gerade ins Schlafzimmer gegangen um das Schnellladegerät für die Fotobatterie anzuschließen. Ich rief ihr halblaut zu gebückt zu bleiben und so lugten wir nur aus den Mauerscharten auf die seltsamen Besucher. Die hatten den Scan beendet und waren gerade dabei den Mast wieder zollstockmäßig einzupacken. Niemand außer uns war bisher auf sie aufmerksam geworden obwohl drüben im „Seagull Restaurant“ noch einige Gäste ihr teures Bier tranken. Aber der Landeplatz war für sie wohl von den Palmen verdeckt nicht einsehbar. „Zollstock“ und „Trompete“ wurden wieder in die Kugel geladen. Die beiden Besucher stiegen ein. Die Kugel wurde durchscheinend grün, dann rosa Der Rotor blitzte im schwachen Licht und wurde immer schneller. Die Kugel hob ab wurde blaulila, rotgelb, wurde immer schneller und schneller. Eine Sternschnuppe von links unten nach rechts oben. Morgens am Strand sahen wir den Kugelabdruck, schon bald von der kommenden Flut weggewischt, und am Strand eine Menge dreifingriger Fußabdrücke, schon fast begraben unter den Sandkrebsspuren die den Strand, wie jeden Morgen kreuz und quer mit ihrem Schienenmuster durchzogen. Den Rest verwischten die Füße der Gäste die, auch wie jeden Morgen die Liegen am Strand reservierten. So wurde die Welt also von den grünen Männchen in Besitz genommen und außer uns hat es keiner bemerkt. Und sie hinterließen keine Spur ihrer Anwesenheit. So muß es in Amerika damals auch angefangen haben mit den Spaniern und den Indianern. Die merkten zunächst auch nichts. Aber auf uns wollte ja keiner hören. Wenn die nur kein so albernes Lied gesungen hätten! Bei „Freude schöner Götterfunke“ oder so was hätte unsere Story viel überzeugender geklungen, aber „Mein kleiner grüner Kaktus“ das ist einfach irgendwie unseriös. Dabei, wenn man es recht bedenkt, zu ihrem Aussehen hat das Lied schon gepasst! Vielleicht haben sie es sogar verstanden und fanden’s lustig?
Heute sitzen wir wieder auf unserer hohen Terrasse, trinken unseren Fernet und schauen in den Himmel nach Sternschnuppen. Man weiß ja nie! Und außerdem kann man sich dann etwas wünschen. Und Wünsche hat jeder.

El Quseir, November 2007
Roland Schemel