Vollmond ist heute, oder doch erst morgen? Jedenfalls steht er groß, rund, silber-gold über dem glitzernden Meer. Warm ist es noch immer. Wir sitzen, liegen fast in zwei der vielen, jetzt unbenutzten Strandliegen. Rechts und links von uns, gerade so im richtigen Abstand um nicht zu stören, aber doch angenehm zu riechen brennen zwei Feuer in flachen Blechtonnen. Gartenfest- Holzfeuer, vielleicht Tamariskenholz wie im alten Ägypten? Schön ist es hier am Roten Meer in Sharm El Sheik. Im Beach-Restaurant haben wir heute Fische gegessen, die man zuerst aussuchen musste aus all der silberblauen Menge und die dann gegrillt ganz anders aussahen; aber gut schmeckten. Und jetzt liegen wir hier. Ein Saxophonspieler steht auf einem Felsen über dem Meer, spielt Lieder unserer Jugendzeit als wir uns so einen Urlaub und so ein Hotel nie hätten leisten können, Dave Brubek, Mr. Acker-Bilk, Gershwins Summertime, Yesterday von den Beatles und Manha di Carnaval aus Orfeo Negro. Am Tauchersteg zwei Fackelschwinger, im Takt dazu oder doch so irgendwie. Romantisch, geruhsam liegen wir hier, träumen von damals und heute. Lange, silberne Lichtbahnen wirft der Mond aufs Meer, glitzernd, vom Horizont bis zum Strand eine silberne Straße. Oder doch nicht? Irgend etwas hat den Silberweg unterbrochen. Ganz weit draußen ist er gut zu sehen und hier am Strand auch; aber in einer Zone dazwischen fehlt er, glimmert nur etwas und glitzert und gerade als der Spieler zur Klarinette wechselt, Count Basie intoniert sehe ich dort draußen die beiden riesigen Fische. Eigentlich sehr ich nur ihre Umrisse und die auch nur teilweise. Dunkel ist es auf dem Meer, nur die mondflimmerigen Lichtpunkte verraten die Form der beiden Neuankömmlinge. Sie scheinen zu lauschen, auf die Musik. Die Fackelschwinger beenden gerade ihren Tanz, da höre ich sie rufen, oder singen die beiden? Ein tiefer Ton aus der See, wie Glockenklang, langgezogen, klar und tief und ich bekomme eine Antwort auf meine Frage ehe ich sie gestellt habe: „Natürlich können wir singen und Reden auch, wie du siehst“. – „ Ja, aber ich hätte nicht gedacht….“- „Klar, natürlich nicht, keiner von euch hätte das gedacht, keiner von euch in eurer trocknen, farblosen, kahlen Welt“. „Na hör mal, farblos..“ denke ich, rede ich, oder nein!, reden eigentlich nicht. Den Sinn richte ich an die beiden, nicht das Wort: „ farblos und kahl ist es hier an Land nicht, bunte Blumen wachsen hier und Bäume und Tiere und Vögel und..“ „Nun ja, du bist bescheiden mit dem was es bei euch gibt, aber die wirkliche Welt ist hier im Wasser. Hier ist das bunte Leben, die Farbe und das Licht…..- und die Ruhe und Klarheit der Welt“ fügt er nach einer Weile hinzu. „ Du zweifelst? Nun, komm mit. Ich zeige sie dir!“ Und er führt mich hinaus. Und ich bin eigentlich gar nicht erstaunt, dass er das kann, nur voll von Erwartung auf das was da kommen soll und schon sind wir in der Unterwasserwelt und obwohl es Nacht ist kann man alles genau erkennen. Das silberne Mondlicht wird verstärkt, wandelt sich in helles Tageslicht bis in die Tiefen der See. Vielfarbig bunt ist es hier zwischen den Korallen. Große lila-blaue Steine, oder sind es Korallenballen? Grün und gelb und rosa. „Paß` auf“ sagt der größere der Fische zu mir „ Je bunter, je gefährlicher ist diese Welt“. Es ist wohl das männliche Tier, denke ich aber ich kenne mich da nicht aus. Schwarz sind beide oder schwarzblau oder schwarzblaulila. Je länger ich hinsehe, je vielfarbige erscheinen sie mir. Beide sind größer als ich, haben vorne doppelte Flossenpaare und einen dreieckigen Schwanz mit tiefer Schwalbenschwanzkerbe, feine weiße Linien an den Umrisskanten und zwei weiße oder weißgelbe Ringe um die blauen Augen. „ Ich bin Mai-e, das Wasser“ sagt er. „Der König der Fische“, sage-denke ich vorlaut. „ So was gibt’s hier nicht bei uns. – Ich bin das Wasser und das Wasser ist das Leben, – mein Leben und dein Leben“. Statt dunkler zu werden, wird es heller je tiefer wir kommen. Hunderte von leuchtenden, grün- gelb- blau schimmernden Fischen ziehen gemächlich vorbei, über uns und unter uns, und tief blaue und dunkelgrüne und rot-orangene auch und fast alle sind bizarr gemustert, geringelt, getupft, getigert, gestreift. Flache Formen gibt es und lange, schlangenartige und fast kugelige, runde und schnittige, schnelle. Und alle sind sehr schön und farbig. Auch die ganze Umgebung ist farbig, leuchtend lila, hellgrün, gelb, orange. Gemächlich zieht ein großer Stachelrochen unter uns seine Bahn. Riesige Korallenfächer verdecken tiefe Spalten und Höhlen im Riff. Plötzlich hört alles auf. Ein unergründlicher Abgrund tut sich vor uns auf, Ende der Wunderwelt. Steil nach unten folgen wir langsam der Wand. „Hab keine Angst, hier beginnt das Meer“ sagt Mai-e. Grüngläsern wird das Licht. Tausende Lichtreflexe zittern überall und Strahlenbündel wie von weit entfernten, starken Scheinwerfern. Schwarzgrüne, grundlose Tiefe ist unter uns. „Das ist aus eurer Welt“, sagt er und deutet auf eine breite Spalte einige Dutzend Meter seitlich unter uns. Ich sehe gar nichts, nur Korallen und Seeblumen. Beim Hinschwimmen erinnert mich die Korallenform an etwas, etwas großes, Schiffähnliches. Diese Korallen sehen aus wie ein riesiges, altägyptisches Papyrusschiff mit den typischen, vorn und hinten aufragenden, umwickelten Papyrusstauden- Bahnen, aber alles aus Korallen. Eine Laune der Natur, denke ich. Etwas schräg liegt das Schiff da. Mit einiger Fantasie kann man sich sogar die Ruderlöcher vorstellen und die Stelle an der die Reste des Mastes waren, wenn es ein Schiff gewesen wäre. „Doch es ist ein Schiff“, sagt Mai-e, „oder besser es war eines. Nichts ist mehr da von seinem Material. Alles haben die Fische gefressen und die anderen Lebewesen, das Holz und die Segel, die Ruder, die Fässer, Truhen, Möbel“. „ Und die Seeleute auch?“ frage ich. „Ja, auch diese. Alles wurde Nahrung und Wohnung für die Bewohner des Riffs. Was du jetzt siehst ist nur die vor langer Zeit entstandene Korallenhülle, damals als das Schiff noch seine Substanz hatte. Jetzt ist nur noch seine Essenz da, sein Lebensplan“. Ich schwimme ins „Innere“ des Schiffes. Tatsächlich! Nichts ist mehr da, alles nur Hülle, nur einige Zentimeter dicke Fächerkorallen. Licht kommt durch die Ruderlöcher und auch von einem großen Loch am Bug. War das die Ursache des Unterganges? Drei kleine Korallenkugeln nehme ich in die Hand als mich plötzlich etwas kräftig rüttelt. Ich höre wieder den Saxofonspieler und „Take Five“ und Kornelia sagt:“ Ja, das macht schläfrig, so ein reichhaltiges Essen“. Mein linker Arm ist ganz nass und ich habe drei Steine in der Hand, die drei Korallensteine, und ich nehme sie mit zum Zimmer. Am nächsten Morgen besehe ich sie genauer. Es sind und bleiben nur drei unscheinbare Korallenkugeln. –Wie immer im Urlaub fotografieren am Ende alles was uns zum Urlaub zu gehören scheint und seit wir eine digitale Kamera haben noch mehr als früher. Kann man ja wieder löschen! Auch unser kleiner Hausgecko kommt aufs Bild. Blass, hell, durchsichtig sitzt er da mit seinen schwarzen Knopfaugen und den Kugelzehen an den Füßen. Erst zuhause in Schorndorf, bei der Vergrößerung am Bildschirm erkenne ich, dass nicht nur der Gecko auf dem Bild zu sehen ist. Die achtlos aufs Sims der Terrasse gelegten drei Korallen sieht man auch und durchströmt von dem strahlenden Licht des Sonnenunterganges leuchten sie klar, hell, grüntürkis der eine, hellblau, gläsern der zweite und der dritte dunkel rubinrot, wie drei Edelsteine. Natürlich haben wir sie nicht mitgenommen, Erstens ist es verboten irgendetwas mitzunehmen und zweitens, und das ist der wichtigere Grund, sie waren zu unscheinbar. Warum mitnehmen? Nicht mal für unsere Kakteenschale schienen sie uns tauglich. Sie liegen noch immer dort auf dem Terrassensims und bestimmt fahren wir noch mal dorthin und nehmen sie dann mit, wenn sie noch da sind, Verbot hin oder her. Letztendlich sind sie ja ein Geschenk von Mai-e, dem Wasser.
Sinai 27.4. bis 13. 5. 2004
Sharm El Sheikh