Schwarzkittel

Eigentlich war es wie immer. Wir waren mit unseren Freunden hier in Berlin beim Griechen. Das ist nicht irgendein Grieche sondern das verlängerte Wohnzimmer unserer Freunde und sie sitzen da eigentlich jeden Tag oder doch jeden zweiten und wenn wir hier in Berlin sind besuchen wir sie natürlich dort. So war’s auch damals, das heißt im letzten Herbst. Wie immer gab’s zunächst einen Uso als Begrüßung und dann den üblichen Demestiko, rot , den ersten halben Liter und dann auch noch den zweiten zum Essen, meist bestelle ich Gyros und Kornelia Lammspieß, und am Ende gab es natürlich zur Rechnung nochmals Uso. „Jamas“ und „Kalinichta“ und schon fuhren wir vom Tempelhof, mitten in der Nacht, hier heraus nach Erkner zu unserem Haus. Warum wir gerade hier in der Gerhard Hauptmann-Stadt Erkner ein Haus haben und wie wir dazu gekommen sind ist eine eigene , ganz andere Geschichte , jedenfalls waren wir auf der Heimfahrt nach Erkner. Köpenick lag schon hinter uns und auch der Fürstenwalder Damm in Friedrichshain, – ja richtig in diesem Teilort von Köpenick in dem es sich die Bewohner in ebendemselben Jahr viel Geld haben kosten lassen um ihren Kaiser Friedrich wieder aus Bronze auf dem Kirchplatz stehen zu haben, ja also das lag hinter uns und der Wald begann, fast endlos, nicht sehr breit aber lang. Da sahen wir sie. Gemütlich trippelten sie am Straßenrand, große, kleine, ganz große, eine Rotte Schwarzwild. „ Wie lieb!“ ruft Ko, „halt doch mal an!“. Hätte ich sowieso gemacht zumal ich den Eindruck hatte eines der Tiere hatte in unverwechselbarer Art den Vorderlauf gehoben, richtig anhaltermäßig. — „Du spinnst wohl“ „Doch! So wie ein Anhalter mit dem Daumen..“ „Wildschweine mit Daumen, na weißt Du“. Trotzdem halte ich an. Ganz zutraulich sind sie. Ko öffnet die Beifahrertür und fast sofort zwängt sich eines der Tiere an ihr vorbei auf den Rücksitz und als hätten sie nur darauf gewartet und als wäre es das normalste der Welt schubsten und drängelten sich drei große und vier kleine Wildsäue in unser Auto. „Ach sind die süß!“ und da sie offensichtlich nicht wieder raus wollten und auch auf „Husch, husch“ und Händeklatschen nicht zum Aussteigen zu bewegen waren, nahmen wir sie halt ein Stück mit. Interessiert schauen sich die Tiere mit ihren kleinen Schweinsäuglein im Wagen um. Im Rückspiegel kann ich sie beobachten. Manchmal zweifle ich ob ich wirklich sehe was ich da sehe. Gemütlich liegen zwei Junge auf meiner Jacke, die wie immer auf dem Rücksitz liegt und schnuppern daran. Wie Hunde , denke ich. Ko sagt: „Na ihr Kleinen“, obwohl , wie gesagt zwei davon richtige große Säue sind. Geantwortet haben sie nichts, nicht mal gegrunzt, sie schienen einfach zufrieden und ganz in Ordnung zu sein. Sie waren offensichtlich wohl vertraut mit dieser Situation und nicht zum ersten Mal so unterwegs. Bis hinter Rahnsdorf, fast schon in Erkner, fährt die Rotte mit. Das Gedränge wurde uns dann doch lästig und außerdem wo wollten die denn hin? Und der Wald ist ja auch fast schon zu Ende. Auch hatte irgendjemand mit dem Hinterlauf, – sagt man so?, ich bin weidmannsmäßig völlig ungebildet – also es hatte ans Fenster geklopft von innen und ich deute das als Stopzeichen. Wir halten also an öffnen die Türen und alle schubsen sich raus, grunzen und verschwinden im Wald. Am nächsten Tag finden wir nur noch einige Blätter im Auto und auf dem Rücksitz etwas Sand und Erde, – ach ja, und einige Tage lang war da dieser ziemlich strenge Geruch der trotz Lüftens kaum zu entfernen war. Wir versuchten den Vorfall natürlich beim nächsten Mal unseren Freunden zu erzählen, aber als Reaktion nur „ Ja, ja der griechische Wein und der Uso, also was wir da schon alles erlebt haben…“ Viermal erzählten wir es irgendjemand, so unseren Freunden in Stuttgart, zufälligen Bekannten in der Kneipe und Geschäftsfreunden , immer kam man auf den Wein zu sprechen und nie auf die Schwarzkittel, bis zum fünften Mal. Unser Freund Karl hier in Berlin, ist Straßenbahnfahrer bei der BVG und als wir ihm die Geschichte gestern erzählen lächelt er nur, schaut uns etwas irritiert an und sagt „..hab ich’s euch doch schon mal erzählt, oder hat der Peter gequatscht?“ „Öh!??“ wir sind überrascht ob seiner Antwort. Und er erzählt: manchmal fährt er auch die Strecke mit der 60er-Tram, also nicht genau dieselbe Strecke sondern weiter vorn am Fürstenwälder Damm, und wenn er da im Sommer abends, oder eigentlich nachts, die Strecke fährt kommen auch manchmal Wildschweine in die Tram. Zwölf Stück waren’s schon und kleine waren auch dabei. Er glaubt uns also, oder? „Willst Du uns auf den Arm nehmen ?“- „Zweimal hab` ich Meldung gemacht“ sagt er, „Beides Mal hat mein Chef nur gelächelt, beim zweiten Mal eigentlich gelacht, wenn man’s recht besieht.“ „Ha,ha, Schwarzkittel als Schwarzfahrer“ und er fügte noch was wie „zuviel Bier….“ hinzu. Nicht mal die BZ die doch sonst die unwahrscheinlichsten Dinge zu berichten weiß, glaubte ihm. Zwar erschien ein Bericht über seinen Anruf; aber der Titel „Zuviel Alkohol bei der BVG? Wir sehen schwarz!!“ veranlasste ihn dann endgültig „sein Maul zu halten“ wie er sagte; auch dann noch, als er einen Zeugen hatte. Das war nämlich sein Freund Peter, der Kontrolleur bei der BVG ist und mit dem er gemeinsam eines Abends die freundliche Rotte ein- und zwei Stationen später wieder aussteigen sah. „Jetzt muss man mir glauben!“ sagte er. „Nein, sag nichts“ meinte sein Freund, „Weißt du, ich hab gerade noch acht Monate bis zur Pensionierung. Die will ich noch ehrenvoll durchstehen.“ Man schwieg also. Auch als einige Jugendliche bemerkten, dass Wildschweine mitfuhren und besonders auch, dass diese natürlicherweise nichts bezahlten und auch von Peter nicht kontrolliert wurden. Wie denn auch ?- Und selbst als einige Jugendliche begannen sich mit schwarzen Kitteln und Masken verkleidet unter die Rotte zu mischen und umsonst mitfuhren „bemerkten“ die beiden einfach nichts. Irgendeiner dieser Typen trompetete eines Nachts laut raus:“ Hier gibt’s ja gar keine Wildsäue mehr, hier sind ja nur Maskierte!“ Aber was macht das schon. Wo es keine Schwarzkittel geben durfte gab es auch keine Schwarzfahrer. Der strenge Geruch lag jedenfalls tagelang im ganzen Abteil und manchmal fragte sich Karl ob auf der großen Disco am Müggelsee, zu der die Jugendlichen ja meist fuhren, dieser Geruch nicht alle Chancen auf traute Zweisamkeit zunichte machen würde, aber als er diesbezüglich einen der Jungs ansprach sagte der nur : „ Im Gegenteil, ganz im Gegenteil“ und wollte sich schier ausschütten vor Lachen. So jedenfalls erzählte uns Karl und wir waren froh, dass wenigstens er uns geglaubt hat. Wir haben diese Geschichte danach niemand mehr erzählt. Es gibt eben Geschichten die kann man nicht erzählen, höchstens schreiben.

März 2004 Ro