Die Brücke am Deutschen Hof

Gestern, als wir so kreuz und quer durch die engen Gässchen von Venedig liefen kamen wir natürlich auch in Stadtviertel die fernab den normalen Touristenpfaden liegen, obwohl doch manchmal sich welche auch dahin verirren, so wie wir zum Beispiel. Also wir gehen ja nicht so oft nur so aufs gerade Wohl. Zumindest versuchen wir eigentlich eine, einmal als richtig eingestufte Richtung irgendwie bei zu behalten, zum Beispiel hier lang bis zur nächsten Querstraße. Was heißt hier Straße, ein schmaler Fußweg zwischen zumeist drei- bis vierstöckigen, schäbigen Gebäuden die, weiß Gott, nur in den seltensten Fällen als, früher einmal prächtige Palazzi zu erkennen sind. Dann über eine winzige Brücke, sofern in unserer Richtung vorhanden. Oder wir müssen am Kanal weiter bis zur nächsten. Also gestern waren wir auch wieder so auf „unserer“ Richtung, so mit hier lang, dann rechts und links und wieder geradeaus und so. Nach und nach wird es schmal, sehr schmal, keine Geschäfte mehr, nur dunkle, halb verfallene Fenster und Türen. Jetzt kommen wir durch eine Art niedrigen Torweg wie ein Tunnel. Obwohl wir beide bestimmt keine Riesen sind, müssen wir uns bücken, zumindest sicherheitshalber um nicht die morschen Holzbalken von Jahrzehnte alten Spinnweben zu säubern. Kaum durch den Tunnel stehen wir in einem Corte. Einem sehr kleinen, allseitig von Häusern gesäumten Hof. Ja, wo geht’s weiter? Ach, ja da links nach unten führen Stufen, beidseitig bequem mit Geländern versehen, direkt zum Wasser. Leider haben wir kein Boot im Handgepäck und obwohl der Kanal vor uns schmal ist, ist er für uns als Nichtvenezianer unüberwindlich. Für die Einheimischen stellt er die Hauptstrasse dar, für uns wohl kaum. Also müssen wir die ganze Stecke wieder zurückgehen, durch den kleinen Corte, den Tunnel dann Zick und Zack, zwei links, zwei rechts, geradeaus bis zum breiteren Hauptweg. Wir lachen über unser Missgeschick. Eine Gruppe Japaner oder Chinesen kommt gerade auf dem Hauptweg an. Vornweg eine kleine Dame mit langem Stock an dem ein buntes Tuch als Leitfahne dient. Sie sehen uns munter aus dem Seitenweg kommen. Natürlich ist das auch ihre gewünschte Richtung und wenn dort jemand, touristisch gewandet herauskommt, so wie wir in diesem Fall, wird das schon der rechte Weg sein. Wir sagen nichts. Jeder hat doch ein Recht auf seine eigene Erfahrung und hätten sie uns verstanden und geglaubt? Schadenfreude? Aber nicht doch, oder? Und wortlos und lachend gehen wir den Hauptweg weiter.– Und die Geschichte, wie geht die weiter? Na, das ist leicht vorstellbar. Auch unsere freundlichen Japaner, oder auch Chinesen bitteschön, werden an der Treppe zum Kanal umkehren müssen und zurückgehen. Und sie werden auf dem Hauptweg andern Touristen begegnen, andern Gruppen, vielleicht Deutschen oder Franzosen oder auch Landsleuten und werden diese ebenso wenig warnen wollen oder können. Ein lebhafter Durchgangsverkehr wird so alsbald entstehen. Schon am nächsten Tag wird ein Stand mit kühlen Getränken im kleinen Corte für die enttäuschten Besucher sorgen. Und an den breiteren Stellen des Weges, dort wo das erste Zick ins Zack übergeht zum Beispiel, werden Schwarzafrikaner alle freien Plätze zum Anbieten von billigen Taschen oder tanzenden Papierfiguren nutzen. Da der Hin- und Rückverkehr immer stärker wird, fangen die Hausbesitzer an die Fassaden, wenigstens im Erdgeschoß und gelegentlich auch noch darüber zu streichen. Auch kleine, inzwischen schon ziemlich teure Schmuck- und Glasläden und einige Modeboutiquen quartieren sich ein. Und da manche der kleinen Gässchen wirklich kaum noch den Publikumsverkehr verkraften können, beschließt die Stadtverwaltung, besonders auf Druck und nach entsprechender Handsalbe der neuen Ladenbesitzer, einen Steg über den schmalen Kanal im kleinen Corte zu bauen der fünf Jahr später durch eine solide Steinbrücke ersetzt werden wird. Es wird die 482ste Brücke Venedigs sein und „Ponto Nuovo de la Corte Tedesca“ heißen. Natürlich uns zu Ehren, denn immerhin haben wir ja den Hof entdeckt. Viele Gondeln werden darunter durchfahren. Die früheren Mieter des Corte aber sind alle längst in billigere Gässchen umgesiedelt.

Italien 8.3. bis 31.3.2002