Wieder stehe ich am Meer und schaue in die Wellen. Ein wildes Meer ist es diesmal. Man nennt es das Rote aber heute ists alles andere als rot. Direkt bei meinen Füßen liegen viele und seltsam geformte Steine in dunklem, feuchtem Sand. Die Wellen kommen direkt auf mich zu, vom Winde mit kleinen Schaumkronen versehen. Den fünfzigtägigen nennt man ihn und meist streut er Sand übers fruchtbare Land und die ganze Stadt. Heute hier am Meer bringt er Wellen. Hier dicht bei mir grau und dunkel. Nein tief ist es hier nicht. Allenfalls bis zur Hüfte ginge mir das Wasser und warm ists auch, so zumindest wars gestern. Nach den dunkelgrauen Wellen kommen flaschengrüne, ebenfalls mit Schaumkrönchen um weiter draußen türkisfarbenen Platz zu machen. Erst am Horizont das gewohnte Dunkelblau südlicher Meere. Alle Farbzonen ziemlich scharf abgegrenzt. Ein malerischer Anblick. Ein Anblick zum Träumen und Geschichten spinnen. Etwa so wie diese….
Als der Ägypterjunge – nennen wir ihn einen Jungen, obwohl bestimmt schon über zwanzig Jahre alt, aber ein Armer ist er, wie alle hier – oder doch fast alle, wie wir sehen werden- als er nun so an diesem oben geschilderten Strand stand, bückte er sich, nahm einige Steine zur Hand und begann sie fest und weit in die ankommenden Wellen zu werfen. Das Wasser spritzte nur mäßig und der Wind warf einige Spritzer auf sein weißes, bodenlanges Gewand, sein einziges Kleidungsstück außer einer uralten Fahrermütze auf dem Kopf die, westlich modern, so garnicht zu seinem archaischen Gewand passen wollte. Da ertönte ein Hupton und sofort drehte er sich um und ging den Weg zurück. Einige der Steinchen hatte er noch in der Hand. Gedankenverloren steckte er sie ein. Auf dem Parkplatz stand sein ziemlich alter Lastwagen, beladen mit leeren Gasflaschen. Natürlich wars nicht wirklich sein Lastwagen. Er war nur sein Fahrer und im übrigen froh überhaupt einen Job zu haben. Rumpelnd fuhr er die rund zwanzig Kilometer zu seiner Stadt, Hurghada, zur Wohnung seiner Familie, d.h.zu seinen Eltern und den beiden jüngeren Brüdern. Dies war nicht die Touristengegend in die er steuerte, sondern sehr enge, durch beidseitige Balkone nach oben fast geschlossene Straßen. Viel Licht kam hier nicht durch, was aber im Sommer auch ganz in Ordnung war. Unrat lag überall auf der Straße und vor der Haustür. Im Haus und in der Wohnung war hingegen alles blitzsauber. So halten es so ziemlich alle Leute hier. Es gab Bohnen und Reis ohne Fleisch. Das gab’s nur einmal, höchstens zweimal die Woche. In seiner Tasche klimperten noch immer die Kieselsteine vom Strand. Er wollte sie schon wegwerfen, da fiel ihm ein etwa daumennagelgroßer, schwarzer Stein auf, wegen seiner seltsamen Form. Wie ein schwarzer Tierkopf sah er aus, mit drei Spitzen. Zwei ohrengleich und die dritte für die Schnauze. Ein lang- und spitzohriger Hundekopf mit hellen Augen. Ziemlich glatt bis auf die Stelle an der man sich den Hals denken konnte. Dort war er rauh und gebrochen wirkend. Menschenwerk oder Laune der Natur? Er dachte nicht darüber nach, warf aber sonderbarerweise den Stein nicht wie die anderen unbedenklich zum Fenster hinaus, nicht achtend etwelcher Schäden die sie verursachen könnten, sondern steckte ihn einfach wieder ein und vergaß ihn. Am nächsten Tag hatte Helet ( sprich: Chelet )- und jetzt denke ich wird es Zeit unserem „Jungen“ einen Namen zu geben- also er hatte eine Fahrt nach Quano, einer kleinen Stadt drüben am Nil. Er sollte dort frisches Gas holen, fuhr schon um drei Uhr nachts los, durchs Wadi und dann über die endlose, schnurgerade Wüstenstraße bis zur bekannten Abkürzung durch die Berge. Nach zwei Stunden machte er Rast, die Hälfte der Strecke lag hinter ihm. Die Sonne war gerade aufgegangen, noch angenehm warm nach der kühlen Nacht. Hier lagen ein paar Steine. Schon aus dem Altertum war dieser Weg bekannt. Drei Säulenreste fast ganz im Sand verschwunden mit erstaunlicherweise noch immer gut erkennbaren, altertümlichen Schriftzeichen und Bildern bedeckt. Aber diese Hieroglyphen konnte er nicht lesen. Doch, ja, er konnte lesen, also moderne Schrift, jedenfalls so ziemlich, aber natürlich hatte ihm sein Onkel kein altägyptisch beigebracht, wie denn auch, als Gemüsehändler. Er lehnte sich an eine der Säulen, trank das mitgebrachte Wasser, aß von den Fladen.- Was war das? War er eingenickt, hatte er geträumt? Die Sonne stand noch immer, oder doch so ungefähr, am gleichen Platz. Ja, das fehlte ihm noch, hier einzuschlafen mitten in der Wüste. Aber die Stimme aus dem Traum hörte er noch immer. Wars denn ein Traum? „Helet, lieber Helet schenke mir den Anubis, bitte! Den kleinen Anubis, ich will es Dir reichlich lohnen.“ Ja was denn, was für einen Anubis? Dunkel erinnerte er sich der Kindergeschichten seiner Mutter vom ehemals reichen Land Ägypten, von Pharaonen und so und heiligen Tieren, von Osiris auch und Isis und ja, genau, auch von Anubis dem Schakal. Da fiel ihm der Stein, der kleine Kiesel vom Strand wieder ein und seine seltsame Hundeform. Er griff in die Tasche. Ja, er war noch da und er nahm ihn heraus, glaubte sogleich wieder die Traumstimme zu hören: „ Helet, lieber Helet, schenk mir den Anubis, bitte, bitte!“ Nun was solls, dachte er, ist doch nur ein Stein, wenn auch ein seltsamer und aus einem Impuls heraus warf er ihn in die Richtung der beiden anderen, ihm gegenüber aus dem Sand ragenden Säulen. Es war so ziemlich in Richtung der Sonne die ihn bestimmt in diesem Moment blendete, aber noch beim Weggehen wunderte er sich warum er den Stein nicht hatte in den Sand aufschlagen sehen. Einfach so, weg. In der Luft verschwunden war er, so schien es ihm. Und noch einmal glaubte er die Stimme zu hören: „Danke Dir, kleiner Helet, danke und geh’ bald wieder zu dem Strand wo Du den Anubis fandest. Ich werde Dir etwas schenken!“ Na Kieselsteine wahrscheinlich, dachte er. Aber irgendwie seltsam wars doch. Noch auf der Weiterfahrt dachte er: „Du spinnst doch. Vielleicht hätte ich zwei oder auch fünf Pfund dafür von einem Touristen bekommen. Einfach so wegwerfen wegen einer Stimme, falls es die überhaupt gegeben hatte.“- Über zwei Wochen waren seitdem vergangen als er wieder an dem Kieselsteinstrand stand. Wieder hatte er Gasflaschen zu liefern und wieder verzögerte sich die Rückfahrt aus irgendeinem Grund. Heute war das Meer ganz glatt, ganz türkisfarben bis zum Strand und nur am Horizont, der größeren Tiefe wegen, dunkelblau. Blau und wolkanlos war der Himmel. Die Sonne stach und kein Lüftchen regte sich. Nicht die kleinste Welle war auf dem wie Glaspudding ruhig liegendem Meer. Wieder nahm er Kiesel auf und warf sie. Kein Hundekopf war dabei und überhaupt nichts Besonderes. Natürlich dachte er an den Traum oder was es war und an die Stimme, falls es sie je gegeben hatte. Fast schämte er sich ein bißchen weil er doch irgendetwas geglaubt oder vermutet oder gehofft hatte; aber natürlich nichts geschah! Das Hupen des Autos schon im Ohr, halb abgewandt schon vom Strand traf ihn im Bruchteil einer Sekunde plötzlich ein Blitzen, ein kurzer, klarer Lichtstrahl oder Reflex aus dem glasklaren, flachen Wasser direkt am Strand und stoppte seine Bewegung. Natürlich sah er nach, was da so blitzte an diesem „seinem“ Strand. Im Wasser lag ein etwa daumenlanger Glassplitter. Schnell nahm er ihn, steckte ihn in die Tasche und rannte zum Auto das zum zweitenmal hupte, ungeduldig schon.- Auf dem Rückweg zur Firma und auch dort fand er keine Zeit sich Gedanken über den Fund zu machen. Erst abends, zuhause in der lichtlosen Straße und nach dem Abendessen, auf seinem Bett sitzend besah er sich das Ding näher. Nein, diesmal wars nichts Besonderes; ein glattes Glasteil nur. Auf einer Seite flach, auf der anderen so etwa halbrund gewölbt, spitz an beiden Enden und, wie gesagt, etwa daumenlang; keine Bruchstelle irgendwo, auch keine Ohren, Schnauze, Füße oder sonst was Auffälliges. Ziemlich klares Glas. Erst im Schein der Lampe erkannte er, daß das Ding so glatt doch nicht war, irgendwie geschuppt oder mit vielen kleinen Flächen bedeckt die das Lampenlicht seltsam an die Wand und an die Decke warfen. Ein Spielzeug also aus klarem Glas. Am nächsten Tag ging er zu Na’ab in den Bazar. Na’ab handelte mit allem, wußte alles und hatte für alles einen Preis zu nennen. Na’ab stand inmitten seiner Waren: Schals, Tücher, Taschen, Flaschen und Messer und den vielen altägyptischen Figuren die, Marmor oder Granit vortäuschend, in großer Zahl aus Gips gegossen und für die unersättlichen Touristen sorgfältig bemalt überall in fast allen Geschäften des Bazars angeboten wurden. „Ich hab’ was zu verkaufen“, sagte Helet zu Na’ab. „So mein Kleiner“, er konnte es sich leisten so zu Helet zu reden denn er war alt und kannte ihn seit seiner Kindheit, „was hast Du denn?“. „Einen schönen Spielstein. Was gibst Du mir dafür?“- Wenn er ihm zehn Pfund, also etwa zwei Dollar, geboten und nach langem Feilschen zwanzig Pfund gezahlt hätte so hätte er ihm den Stein sofort verkauft. Aber Na’ab besah sich das Ding, ging nach hinten, suchte und fand eine kleine Lupe, besah sich das Ding noch einmal dann den Helet, den er doch eigentlich ganz genau kannte. Er besah ihn lange und ausführlich. „Wo hast Du das her?“- „Vom Strand.“- „ Vom Strand“, wiederholte der Alte, sah ihm nochmals lange ins Gesicht, glaubte ihm das Gesagte, jedenfalls so ziemlich, man weiß ja nie, dachte er und sagte: „Tausend Pfund“. Der Schreck fuhr Helet in die Glieder. Tausend Pfund! Soviel Geld verdiente er in drei Monaten. Tausend Pfund! Aber er war nicht dumm. Wenn Na’ab bereit wäre tausend Pfund zu zahlen war das Ding wirklich was wert, viel mehr wert, viel, viel mehr. Nachdem er seinen Schreck etwas überwunden hatte sagte er leichthin: „Nein, ich behalt’s doch lieber“. Und auch als Na’ab ihm nach fünfzehnhundert, zweitausend gar dreitausend Pfund bot blieb er hart, steckte seinen Spielstein wieder ein und ging gedankenvoll nach Hause. Mutter, Vater, Tante, Onkel und die Brüder erfuhren also am Abend: Helet hatte etwas gefunden für das Na’ab bis sechshundert Dollar hatte zahlen wollen. Man hielt Familienrat. „Als erstes niemand etwas sagen! Auch Ihr nicht ihr beiden Rangen, verstanden?“und dann irgendwie feststellen was es mit dem Ding und dem großen Wert auf sich hatte. Wieviel war es wirklich wert? Wenn Na’ab sechshundert Dollar zahlen wollte so wars bestimmt sechsTAUSEND Dollar wert, wenn nicht noch mehr. Der Onkel, der am seriösesten wirken mochte wollte einen Juwelier in der Stadt befragen, denn daß es mehr als ein Glasstück war, das war nach Na’abs Angebot allen klar. Hier in Hurghada gab es zwei ernsthafte Juweliere. Nicht in der Touristengegend, sondern dort im „Leuteviertel“ wo die bessere Gesellschaft wohnte, dort hatten sie ihre Läden und Werkstätten. Der erste sah kaum hin, nannte zweihundert Dollar noch zuviel und erst der Hinweis auf Na’abs dreifachen Preis veranlasste ihn zu ernsthafter Prüfung in deren Verlauf das ockerbraun seines Gesichtes sichtlich bleich wurde und er mehr stammelte als sagte: „Ein schönes Stück, ein wirklich schönes Stück“. „Und der Wert, der Preis?“ fragte der Onkel. Und nach einigem Drumherumreden ergab sich, daß es wohl ein Diamant sei, ein außergewöhnlich klarer, fast, bis auf einige Bläschen in einer der Spitzen, lupenrein im Ganzen, altertümlich geschliffen und mit 187 Karat einer der ganz Großen. Der Wert könne so überhaupt nicht genannt werden, liege aber sicher weit über dem Hundertfachen des Angebotes von Na’ab, also über sechzigtausend Dollar. Natürlich, falls sich überhaupt jemand fände soviel Geld für einen Stein auszugeben. Er persönlich habe noch nie einen solchen Stein verkauft, ja noch niemals vorher einen so großen gesehen und wüßte auch in der ganzen Stadt niemanden der dafür als Käufer infrage käme. Jetzt war’s am Onkel weiß um die Nase zu werden und mit etwas flauem Magen und schwachen Knien nahm er den Schatz, um eine solchen handelte es sich ja wohl, und ging. Auch der andere Juwelier kam zu ähnlichem Ergebnis und zuhause war natürlich darob die Freude groß; aber auch die Ratlosigkeit. Was war zu machen? Zu dritt, also der Vater, der Onkel und Helet ging man erneut den ersten Juwelier um Rat an. Und als Ergebnis der Beratung kam heraus, daß hier in Hurghada gar nichts zu machen war, aber in Kairo natürlich schon. Dort in der Weltstadt waren die großen Juwelierhäuser. Er nannte ihnen gleich fünf aus dem Stegreif. Internationale Namen.– Nun um die Geschichte nicht unnötig zu verlängern hier also das Ergebnis der Bemühungen, der gemeinsamen Reisen, Beratungen und des langen Feilschens: Ein südafrikanischer Diamantenhändler, de Beers, kaufte nach einwöchiger Prüfung den Stein für 290 000 Dollar und zahlte an die Regierung dieselbe Summe nochmals als Ablöse. Ein gutes Geschäft für de Beers und ein riesiger Betrag für Helet und seine Familie.- Heute, zwei Jahre später ist der Diamant längst in drei Stücke zu je 89, 37und 11 Karat geteilt, neugeschliffen und für mehr als drei Millionen Dollar verkauft worden. Helet und die Familie leben in Alexandria in einem schönen gartenumgrenzten Haus. Er hat eine Spedition mit fünf Lastwagen und fährt einen blauen Buick und die beiden Rangen gehen zur Schule. Seit letzten Sommer ist er verlobt mit der Tochter eines Tuchfabrikanten und wird in diesem Sommer heiraten.– Ja, was wäre noch erwähnenswert? Eine private, anonyme Stiftung wurde gegründet und mit der Aufgabe betreut am fast vergessenen Ort im Wadi bei Hurghada Ausgrabungen zu machen. Einige weitere Säulen mit guterhaltenen Schriftzeichen kamen zum Vorschein und die Reste zweier Pylone. Keine Statuen oder sonst etwas historisch Wertvolles, außer einer kleinen Anubis- Statue, nur handgroß und schwarz auf seiner Lade sitzend-liegend, mit herabhängendem Schwanz. Die Lade aus Ebenholz mit drei Reihen winziger Schriftzeichen rundum auf allen Seiten und daruter die üblichen zwei „Tragestangen“ aus Elfenbein. Leider fehlte der Kopf der Statue. Man suchte eine Woche lang danach, fand aber nichts. Fünfzigtausend Dollar, mit diesem Betrag war die Stiftung ausgestattet worden, sind viel Geld aber doch nicht genug um endlos weiter zu suchen. Ein Zuschuß des Staates ermöglichte es den italienischen und ägyptischen Forschern dann doch noch zwei Monate länger zu bleiben. Nochmals wurde der ganze Sand gesiebt und gesiebt. Es wurde gesucht und gesucht aber nichts gefunden. Also packte man alles Gerät zusammen, lud die unvollständige Statue in einer Transportkiste auf den Lastwagen und gerade als dieser anfuhr sah einer der ägyptischen Helfer, wieder einmal nur so aus dem Augenwinkel, etwas glänzen. „Halt“, schrie er. Direkt neben einer Säule, dort wo man den Sand bestimmt schon siebenmal gesiebt hatte, lag der kleine, schwarze Kopf mit den spitzen Ohren. Die Bruchstelle passte genau auf die Statue.- Heute steht der kleine Anubis, sorgfältig gekittet, im Ägyptischen Museum in Kairo. Nur wenig wird er beachtet bei allen den anderen Schätzen wie Tut-anch-amun und so, mit ihrem vielen Gold und ihrer großen Wichtigkeit. Aber wenn er reden könnte, das heißt wenn er es wollte…….
Ägypten 26.4. bis 17.5.2001